www.wassersport-kinder.de

 

Navigation


•  Rheingold
•   Nibelungenschatz
•  Die Königstochter von
•  Die glühenden Kohlen
•  Der Johannisgeist
•  Das Neun-Uhr-Glöcklein 
•  Der Lällekönig von Basel
•  Fischer von Schaffhausen
•  Das Kloster Rheinau
•  Die Nibelungen in Worms
•   Der Fiedler von Mainz
•  Der Mäuseturm
•   Elslein von Kaub
•  Kauber Werth
•  Feindliche Brüder
•   Der Traum vom Glück  
•  Der Bäckerjunge von
•   Der Dom zu Köln
•  Die weiße Frau
•  Die Zöpfe von Ruhrort
•  Das Schwanschiff
•  Zwerge als Hirten

 

 

 

 

 

 

 

 

Caro's maritime Kinderecke

Sagen und Märchen vom Rhein

Der Fischer am Rheinfall

 

 

Es war einmal ein junger Fischer, der wohnte bei Schaffhausen, der schönen Stadt am Rheinfall.

Eines Abends, als die blaue Dämmerung aus den Wäldern heraus quoll und am leise ziehenden Rheinstrom die Nebelfrauen durch die überhängenden Weiden und Erlen huschten, fuhr der Fischer mitten in den Fluss hinaus, um sich von den klingenden Wellen gemächlich nach Hause treiben zu lassen. Er hatte seinen Fischkasten voll von feinen Fischen und durfte mit dem Tag sehr zufrieden sein. So legte er sich denn in seinen Kahn nieder und ließ sich von dem immer dunkler werdenden Wasser ruhig davontragen. Denn nicht weit vom Rheinfall stand seine Hütte, an der er bald zu landen gedachte. Wie er nun so dahin trieb und an allerlei dachte, wurde er schläfrig. Auf einmal fielen ihm die Augen zu, und er schlief ein. Erst träumte er von seiner Freundin. Ihm war, sie trete eben aus den Bäumen hervor, deren Rauschen er immer deutlicher zu hören vermeinte. Dann aber war ihm, als vernehme er ein feines Knurren wie das eines Hundes. Und nach und nach wurde daraus etwas wie ein fernes Donnern. Und jetzt träumte er, ein fürchterliches Gewitter würde beginnen, ein orkanartiger Sturm peitsche ihm die wolkenbruchartig herab fallenden Wasser des Himmels ins Gesicht, und die ganze Welt sei nur noch eine unaufhörlich brausende Donnerorgel. Auf einmal fuhr er aus dem Schlafe auf und sah mit Entsetzen eben seinen Kahn von den ungeheuren Wassermassen des Rheinfalls gepackt und in die grauenhafte Tiefe gerissen. "Hilf Gott, der Rheinfall!", schrie er noch. Dann ging's mit ihm bergab. Ein Brüllen, Stäuben und Brausen war um ihn. Er klammerte sich mit beiden Händen an den herumwirbelnden Kahn, dann wurde er ohnmächtig. Als er wieder zu sich kam, wurde sein Kahn von den zischenden Wogen eben ans Ufer geschleudert. Noch halbtot vor Schrecken, blieb er lange am Ufer liegen und staunte zu dem donnernden Rheinfall hinauf, den der aufgehende Mond eben geisterhaft beleuchtete. Es war, als stürzten unzählige Wildbäche flüssigen Silbers übereinander und miteinander in die grausige Tiefe, in der es kochte, stäubte und rauchte. Als eine vorübergehende Woge mit einem feinen Wassersprudel über ihn kam, schoss er auf, zog den Kahn vollends ans sichere Ufer, lud ihn auf den Rücken und machte sich damit so schnell wie möglich nach Hause. Dort legte er sich hurtig und schweigsam zu Bett. Im Schlafe noch donnerte ihm der Rheinfall schrecklich in die Träume. Am Mittag des andern Tages saß der junge Fischer wohlgemut im Wirtshaus mit anderem Fischervolk zusammen und prahlte mit seiner grausigen Fahrt über den Rheinfall. Die Fischer wollten es nicht glauben, bis er, vom Weine betrunken, ausrief, es würde ihm nichts ausmachen die Fahrt ein zweites Mal zu machen. Da schwiegen alle und schauten ihn erschrocken an. Zu solch einer tollen Tat wollten sie ihn nicht treiben. An einem anderen Tisch in der Wirtschaft saß ein fremder Mann mit unheimlichen Augen. Dieser erhob sich, lachte schrill und rief: "Fischer, ich gebe dir hundert Gulden, wenn du die Fahrt ein zweites Mal wagst!" Und gleich rief der junge Fischer in frevelhaftem Übermut: „Gut, es gilt! Iich tu's ein zweites Mal!" Zu einem alten Manne aber, der ihn warnte und ihm zuredete, er solle Gott danken, dass er das erste Mal so gnädig davongekommen sei, sagte er lachend: "Ich wag's dennoch. Was mir im Schlaf gelang, muss mir im wachen Zustande, wenn ich doch das Steuer lenken kann, erst recht gelingen." Schnell sprang er auf und alle Leute, die in der Wirtschaft waren, voraus der unheimliche Fremdling, verließen das Haus und folgten dem Fischer ans Rheinufer. Bevor ihn jemand zurückzuhalten konnte, sprang er in seinen schwankenden Kahn und stieß ihn voller Übermut vom Ufer ab, dem nahen Rheinfall zu, den man selbst hier schon donnern hörte. Mit lähmendem Entsetzen schauten ihm alle nach, nur der Fremde grinste. Erst ruderte der junge Fischer, um das Schiffchen noch rascher vorwärts zu treiben. Aber auf einmal sprang er ans Steuer, denn unversehens begann sein Kahn zu tanzen und schneller dahin zutreiben. Es dauerte keine Vaterunserlänge, da fing das kleine Boot an zu hüpfen und zu rennen, als gälte es einen Hasen einzuholen. Immer näher kamen sie dem schrecklichen Wasserfall. Das Steuer wollte dem kräftigen Fischer kaum noch gehorchen, und auf einmal fing der Kahn an, wie rasend davon zuschießen, und fürchterlich glucksten die Wirbel und Wellen um ihn herum. Wie nun der junge Fischer plötzlich nichts mehr um sich sah als ein reißendes Wildwasser, packte ihn eine entsetzliche Todesangst. Es war ihm, als habe sich der Rhein in ein wildes Pferd verwandelt, das ihn mit Pfeilschnelle der tiefsten Hölle zuträgt. Er versuchte mit der Kraft der Verzweiflung das springende Schifflein zu wenden, doch das Steuer gehorchte ihm nicht mehr. Er jagte an die Ruder, aber die rasende Flut schleuderte sie weg, und jetzt sah er vor sich den Rheinfelsen mitten aus dem Strom auftauchen. Ein jämmerlicher Aufschrei gellte ins Donnern der Wasser, und dann glitt der Kahn, schneller als ein gefällter Baum durchs Holzgeleit von der Bergwand, in die flatternden Wirbel des Wasserfalles hinein. Die schreckensbleichen Zuschauer eilten hinunter an den Strom, wo der Rheinfall verkocht und ausschäumt. Sie schauten und schauten und harrten, aber weder Fischer noch Kahn tauchten jemals wieder aus der brausenden Flut. Und als sie sich nun zornig nach dem Fremden umsahen, der den trunkenen Fischerjungen zu der schrecklichen Todesfahrt aufgestachelt hatte, fanden sie ihn nicht mehr.

Wie sie auch später das Land nach dem Fremden absuchten, niemand außer ihnen wollte ihn jemals gesehen haben. Da bekreuzten sie sich und dachten sich ihre Sache. Seither sieht man in mondhellen Nächten oft ein nebelhaftes Schifflein mit einem Fährmann zwischen dem Doppelriff des Rheinfalls hinab gleiten und in den milchweißen, überschäumenden Wasserstürzen verschwinden.

Meinrad Lienert 1915, gefunden und überarbeitet von Werner Reuters